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Mittelbayerische Zeitung: Schröders Luftnummer

Regensburg (ots)

Von Maria Gruber

Als der Bundestag im Oktober 2011 die Familienpflegezeit beschloss, war Familienministerin Kristina Schröder (CDU) voll des Lobes: "Wir verabschieden heute ein Gesetz, das vielen pflegenden Angehörigen helfen wird", sagte sie in ihrer Rede. Sie sprach von einem innovativen, "praxistauglichen Instrument" und von einem realistischen Konzept, das sich an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Realistisch, innovativ, praxistauglich, an den Bedürfnissen der Menschen orientiert? All das klingt wie aus einer anderen Welt. Denn in Wirklichkeit zielt dieses Instrument, das der besseren Vereinbarkeit von Pflege und Beruf dienen soll, aufgrund von fundamentalen Konstruktionsfehlern völlig an der Zielgruppe vorbei. Die Familienpflegezeit ist ein besonders eklatanter Fall purer Symbolpolitik und beweist erneut das Scheitern der Bundesfamilienministerin Kristina Schröder. Die Familienpflegezeit soll den pflegenden Angehörigen vorgaukeln, dass sich die Regierung für sie einsetzt. In Wirklichkeit aber wird gar nichts für sie getan. Dabei kann die Arbeit pflegender Angehöriger nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie sind die tragende Säule des Systems. Sie kümmern sich um zwei Drittel der 2,4 Millionen Pflegebedürftigen und sparen dem Sozialstaat viel Geld. Der Sozialverband VdK etwa geht davon aus, dass sich ohne die pflegenden Angehörigen der Beitrag für die Pflegeversicherung in den nächsten zwei Jahrzehnten mehr als verdoppeln würde. Auf diejenigen, die bereit sind, ihre Angehörigen zu pflegen, wird es also auch in Zukunft ganz besonders ankommen. Gesetzliche Luftnummern wie die Familienpflegezeit helfen jedenfalls nicht weiter. Denn sie geht an der Pflegerealität vorbei. Ein Grund dafür ist der zeitliche Rahmen, den die Familienpflegezeit steckt: Wer Vollzeit arbeitet und in die Situation kommt, sich etwa um die Eltern kümmern zu müssen, ist nicht in der Lage zu beurteilen, wie lange diese Phase dauern wird. Studien zufolge beträgt die durchschnittliche Pflegedauer 9,6 Jahre. Wer sich allerdings länger als 24 Monate um seine Angehörigen kümmern möchte/muss, für den kommt die Familienpflegezeit allerdings nicht in Frage. Da die Regelung nur die Pflege enger Verwandter wie Großeltern, Eltern, Schwiegereltern, Ehegatten, Lebenspartner, Geschwister oder Kinder erlaubt, fallen Freunde, Nachbarn oder Bekannte ebenfalls aus dem Raster. Sie kommen als Pflegende nicht infrage, sind aber vor allem in Großstädten Bezugspersonen, die sich dafür anbieten könnten. Aber auch das ignoriert die Luftnummer Familienpflegezeit. Dass es keinen Rechtsanspruch gibt, kommt erschwerend hinzu - fällt allerdings bei der ohnehin geringen Anzahl von Beschäftigten, die die Familienpflegezeit in Betracht ziehen können, beinahe nicht mehr ins Gewicht. 14 Großunternehmen bieten die Regelung heute schon an, das Ministerium geht davon aus, dass 400 000 Beschäftigte die Familienpflegezeit nutzen können. Nicht einmal zehn Arbeitnehmer sind es in Wirklichkeit, wie eine MZ-Umfrage unter den 14 Unternehmen ergeben hat. Allein das spricht Bände. Was werden sich wohl die vielen Frauen gedacht haben, die schon heute den Großteil der häuslichen Pflege übernehmen,die ihre Arbeitszeit deshalb bereits seit Jahren reduziert oder die Erwerbstätigkeit ganz aufgegeben haben; die oft nur 400-Euro-Jobs ausüben und deshalb später eine miserable Rente haben werden; deren Lebensläufe das sind, was man gemeinhin als "unterbrochene Erwerbsbiografien" versteht und deshalb später mit einer Minirente zurecht kommen müssen? Ob sie sich gefreut haben, als Familienministerin Kristina Schröder ankündigte, nun den pflegenden Angehörigen mit einem innovativen, praxisnahen und an den Bedürfnissen der Menschen orientierten Konzept helfen zu wollen? Ganz bestimmt nicht, als sie von der Familienpflegezeit sprach.

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