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Mittelbayerische Zeitung: Leitartikel von Reinhard Zweigler zu Pflegereform

Regensburg (ots)

Jeder will alt werden, aber keiner will es sein. Es ist der Wunsch wohl aller Menschen, ein hohes Alter zu erreichen. Methusalem, der es der Bibel nach auf mehrere hundert Jahre Lebenszeit gebracht hat, lässt grüßen. Zugleich jedoch schreckt der Gedanke ab, im Alter gebrechlich und auf die Hilfe anderer angewiesen zu sein. Alt werden ja, aber hilfebedürftig sein, nein. Freilich geht es im Leben nicht immer nach den persönlichen Wünschen. Pflegebedürftig sind manche Menschen von Geburt an, manche nach schweren Unfällen oder Krankheiten, viele werden es im Alter. Wie eine Gesellschaft mit "Pflegefällen" umgeht, sagt viel über ihre Werte, aber auch über ihre wirtschaftliche und soziale Kraft aus. Es war ein Verdienst von Norbert Blüm, vor zwei Jahrzehnten die Pflegeversicherung in Deutschland einzuführen. Gegen große Widerstände in den eigenen Unionsreihen und gegen Widerstände aus dem Arbeitgeberlager. Das ist Geschichte und der aktuelle Blüm-Nachfolger Hermann Gröhe macht sich nun daran, den vielen Reformen der Pflegeversicherung seit Blüms Zeiten eine weitere folgen zu lassen. Diesmal freilich handelt es sich wirklich um tiefgreifende Änderungen, keine Reförmchen, wie in den letzten Jahren so oft geschehen. Dabei ist Gröhes werte- und auf den Menschen bezogener Ansatz richtig: Gute Pflege muss uns mehr wert sein! Die jetzige Reform, die ab 2017 zu greifen beginnen soll, zielt deshalb nicht nur - aber natürlich auch - auf mehr Geld für die Pflegeversicherung ab. Etwa fünf Milliarden Euro soll es jährlich mehr für Leistungen von pflegenden Angehörigen und Fachkräften geben. Das klingt gewaltig viel. Bei Licht besehen und mit Blick auf die Herausforderungen in diesem Bereich jedoch, ist das keinesfalls zu viel, eher zu wenig. Gröhes Reform macht dabei endlich Schluss mit der bisherigen Ausgrenzung von Menschen mit Demenz, was man früher unter Altersverwirrtheit zusammenfasste. Auch diese Menschen bekommen in den Leistungen der Pflegeversicherung und der neuen Eingruppierung in fünf Pflegegrade ihren Platz. Möglicherweise holt Gröhe damit 500 000 Menschen aus dem Zustand der Nicht-Versorgung heraus. Ob das, was Gröhe vorschlägt, auch ausreichen wird, um den steigenden Bedarf an unterschiedlichsten Pflegeleistungen zu decken, steht auf einem anderen Blatt. Wunderdinge sollte niemand erwarten. Zugleich jedoch sind die Pläne des Ministers ein gesellschaftliches Programm. Es will nicht nur die Pflegeleistungen in Einrichtungen verbessern, mehr Zeit für die Pflege einräumen, Bürokratie bei der Dokumentation abbauen, die Zahl der Pflegenden und die Qualität der Pflege erhöhen, sondern vor allem auch den pflegenden Angehörigen stärker unter die Arme greifen. Denn sie tragen die Hauptlast der Pflege in Deutschland, sind sozusagen die heimlichen Heldinnen und Helden des Systems. Und dies zumeist unbezahlt, ohne Anerkennung, ohne Freizeit. Hier hat Gröhe etwas bessere Unterstützung bei der Renten- und Arbeitslosenversicherung für die Pflegenden geplant. Gut so, aber viel zu wenig. Auf der anderen Seite jedoch jammern Arbeitgeber, sicher auch mancher beitragszahlende Arbeitnehmer, über den künftig steigenden Obulus für die Pflegeversicherung. Allerdings greift diese Kritik an wenigen Zehntelprozentpunkten mehr an Beitrag sehr kurz. Wer heute nicht bereit ist, einen überschaubaren Mehrbetrag für die Pflege einzusetzen, muss sich fragen lassen, was denn seine Alternativen für diese große gesellschaftliche Aufgabe sind? Das Pflegeproblem einfach unter den Tisch kehren, geht - zum Glück - nicht mehr.

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