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Mittelbayerische Zeitung: Arm, alt, abgeschrieben
Immer mehr Rentner darben am Existenzminimum - doch es braucht mehr als einen Aufstand der Alten. Leitartikel von Pascal Durain

Regensburg (ots)

Diese berühmte Strophe aus Bertolt Brechts Dreigroschenoper über soziale Ungerechtigkeit sollte sich die große Koalition Tag für Tag vorbeten: "Denn die einen sind im Dunkeln - Und die andern sind im Licht. Und man sieht nur die im Lichte - Die im Dunkeln sieht man nicht." Denn seit Jahren bleibt eine Gruppe, die konstant wächst, im Dunkeln: am Existenzminimum darbende Senioren, die aus Scham da noch sparen, wo es nichts mehr zu sparen gibt. Die Bundesregierung hat ein Rentenpaket erlassen, das zwar viel Geld kostet, aber das Wort gerecht nicht verdient. Statt wieder Vertrauen in die sozialen Sicherungssysteme zu schaffen, das gerade den Jungen gut tun würde, werden nachträgliche Wahlkampfgeschenke verteilt: Denn Mütterrente, abschlagsfreie Rente mit 63 lösen die Probleme nicht - und auch nicht, dass die Renten ab 2016 um fünf Prozent steigen und die Rentenbeiträge sinken sollen. Denn klar ist: Langfristig geht diese Rechnung nicht auf, das Geld wird wieder knapp, die mauen Renten werden noch knapper - und eine Frage bleibt unbeantwortet: Wer soll das bezahlen? Die Statistiker aus Wiesbaden schlagen unterdessen am Mittwoch Alarm: Armut bedroht - zehn Jahre nach den Hartz-Reformen - immer mehr Menschen in Deutschland. Besonders das Armutsrisiko der über 65-Jährigen steigt - auf den höchsten Stand seit Einführung der Statistik im Jahr 2005. Besonders in Bayern sind Senioren von einem Leben am Rande oder unterhalb des Minimus bedroht, dabei gibt es hier mit Blick auf alle Altersgruppen das niedrigste Armutsrisiko im bundesweiten Vergleich. Warum das so im Freistaat ist, darauf hat das Statistische Bundesamt keine Antworten. Der Kinderschutzbund nennt die lange Zeit der Unvereinbarkeit von Familie und Beruf für Frauen als Hauptursache. Ende 2013 bezog fast eine halbe Million Personen über 65 Jahren Grundsicherung, auch hier machten die Statistiker einen Anstieg aus, mehr als 800 000 Minijobber sind in derselben Altersklasse. Dafür befinden sich laut Bundessozialministerium immer mehr 60- bis 64-Jährige in einem sozialversicherungspflichtigen Jobverhältnis. An der Rente mit 67 hält die Regierung daher fest. Die Frage ist aber, ob diese Menschen nur einen Job haben, weil es schlicht vorne und hinten an Nachwuchs fehlt - oder ob tatsächlich ein Wandel auf dem Arbeitsmarkt begonnen hat. Doch alle Statistiken dazu sind nur ein Vorbote dessen, vor welcher Herausforderung dieses Land tatsächlich steht: 20,5 Millionen Rentner leben in Deutschland. Ihre Zahl wird steigen. Rasant. Umgekehrt werden die Sozialkassen von immer weniger Menschen gefüllt. Wer jetzt einzahlt, wird nicht mal die Hälfte davon später herausbekommen. Das ist eine Entwicklung, die allen Generationen gegenüber unfair ist - und die für Konflikte sorgt. Wer also nicht selbst privat vorsorgt, wird später kaum etwas haben. Und wer sich das aber nicht leisten kann - weil nicht jede Erwerbsbiografie ohne Lücke auskommt - wird noch weniger haben. Dabei gibt es gute Gründe für die deutsche Rentenversicherung: Ein Blick in die angelsächsischen Länder beweist: Die Finanzmarktkrise war hier mit am verheerendsten für Rentner, deren Pensionskassen auf Aktien gesetzt hatten. In Deutschland gibt es dafür ein Sicherungsnetz, das solche Abstürze verhindert. Aber wer eine Riester- oder Rürup-Rente abgeschlossen hat, hätte nun dank der Nullzins-Politik mehr davon, sein Geld unters Kopfkissen geschoben zu haben. Der demografische Wandel bringt die Rentensysteme an die Grenzen der Belastbarkeit - und macht Reformen unausweichlich. Das bleibt leider auch nach diesem Rentenpaket so.

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