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WAZ: Die gefährliche Reise nach Jamaika - Leitartikel von Alexander Marinos zur Regierungsbildung nach der Wahl

Essen (ots)

Der karibische Inselstaat Jamaika ist erdbebengefährdetes Gebiet. Das passt zu den tektonischen Verschiebungen, die nun in den potenziellen Koalitionsparteien zu registrieren oder zumindest zu erwarten sind. Plötzlich schauen zwei Gewinner vom Sonntag, FDP und Grüne nämlich, etwas dumm aus der Wäsche, während die SPD nach der bittersten Niederlage ihrer Nachkriegsgeschichte eher aufgeräumt, ja befreit wirkt. In ihrer Ankündigung, die Opposition im Bundestag anzuführen und sich darüber neu zu profilieren, steckt für die Sozialdemokraten der Keim künftiger Erfolge, während das Experiment Jamaika sich für die kleinen Parteien als überaus gefährlich erweisen könnte.

Der dritten kleinen Partei in einem solchen Bunde, der CSU, könnte die jamaikanische Hitze besonders zusetzen. Ihr droht für den Fall, dass sie zu viele Kompromisse eingehen muss, sogar die komplette Austrocknung. Die strukturelle Mehrheit in Bayern und damit ihre Existenzgrundlage als starke Regionalpartei mit bundespolitischer Bedeutung ist futsch. Eine Jamaika-Koalition würde ihr den Rest geben. Der schnell wieder zurückgenommene gestrige Einwurf von CSU-Chef Horst Seehofer, man müsse nun über die Fraktionsgemeinschaft mit der CDU nachdenken, zeigt, wie irrlichternd die Christsozialen unterwegs sind. Dagegen ist das Willy-Brandt-Haus derzeit eine Oase der Ruhe und Vernunft.

Es hilft nichts: Union, FDP und Grüne sind zur Zusammenarbeit verdammt. Das Signal des Wählers war eindeutig: Er hat die Große Koalition so klein gekloppt, dass sie rechnerisch zwar noch möglich wäre, politisch aber eben nicht. Damit hatte FDP-Chef Christian Lindner offenbar nicht gerechnet. Er ahnte schon am Sonntagabend, dass der kometenhafte Aufstieg von der außerparlamentarischen Opposition direkt hinein in die Bundesregierung ihn und sein noch dünnes politisches Personal überfordern könnte und dass am Ende einer erneuten Zusammenarbeit mit Angela Merkel wieder der Absturz ins Nichts droht, wenn er nicht höllisch aufpasst. Sein Wahlplakate-Lächeln war wie weggeblasen.

Und die Grünen? Spitzenkandidat Cem Özdemir erfüllte womöglich der Gedanke mit heiterem Stolz, künftig als Bundesaußenminister seinem türkischen Amtskollegen mal so richtig einen einschenken zu können. Jedenfalls wirkte er eher entrückt-verzückt, während die linken Fundis in seiner Partei der Gedanke jetzt schon zur Weißglut bringen dürfte, Steigbügelhalter einer - wie SPD-Chef Martin Schulz sie gestern aus purer Gemeinheit nannte - künftigen "Mitte-Rechts-Regierung" zu sein. Ob Flüchtlingspolitik, Energiepolitik, Sozial- oder Finanzpolitik: Spannungen, nichts als Spannungen. Ist eine solche Jamaika-Koalition nicht schon gescheitert, bevor sie überhaupt zustande kommt?

Wer das glaubt, macht seine Rechnung freilich ohne jene Frau, die bisher noch jedes Beben überlebt hat. "In der Ruhe liegt die Kraft", sagte Merkel in der aufgeregt-aufgedrehten Elefantenrunde, so als hätte sie schon wieder ihr Spritzen-Set mit Valium und Propofol aufgefüllt. Mag sein, dass am Ende einer Jamaika-Koalition nach all den Erschütterungen FDP und Grüne in einen tödlichen Tiefschlaf verfallen. Aber bis dahin hat sich die SPD wieder erholt, um Merkel - Schock! - zur fünften Amtszeit zu verhelfen. Merkel für immer.

Geschockt dürften jetzt schon einige Protestwähler sein. Mit der gestern begonnenen Selbstzerfleischung entblößte sich die AfD derart zur Kenntlichkeit - da wären mehr als vier Zeilen Kommentar Verschwendung.

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